Private Aufzeichnungen: John F. Kennedy in Deutschland (2024)

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Im Sommer 1937 landeten zwei junge US-Amerikaner und ein Ford Cabriolet im Hafen von Le Havre. Ihre Mission: Europa in drei Monaten. Es war die klassische "Grand Tour" der reichen Ostküstenamerikaner, die so wie der Debütantenball zum Pflichtprogramm der heranwachsenden Elite gehörte. Der eine hieß Kirk LeMoyne Billings, genannt Lem, der andere Jack - besser bekannt als John F. Kennedy.

Die beiden Jungs hatten gerade das erste College-Jahr an der Elite-Uni Harvard hinter sich, waren 20 Jahre alt und abenteuerlustig. Den Trip genossen sie in vollen Zügen, flirteten, feierten und trafen sich mit Bekannten. Gleichzeitig setzten sie sich aber auch aktiv mit den politischen Systemen auseinander - vor allem mit dem Faschismus in Italien und Deutschland. Lem Billings erinnerte sich später, Kennedy sei "völlig eingenommen von dem Interesse an der Hitler-Bewegung" gewesen. Zwei weitere Male reiste der spätere US-Präsident als Student nach Deutschland: Im Sommer 1939 recherchierte er für seine Abschlussarbeit, die sich mit dem Münchener Abkommen von 1938 beschäftigte. 1945 begleitete er den damaligen US-Marineminister James Forrestal auf einer Rundreise.

Jedes Mal dokumentierte er das Erlebte in seinem Tagebuch (1937), in Briefen an seine Eltern und Lem Billings (1939) und in detaillierten Reiseberichten (1945). Diese Dokumente hat der Aufbau-Verlag nun unter dem Titel "Unter Deutschen: Reisetagebücher und Briefe 1937-1945" erstmals zusammenhängend in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Wie ein roter Faden ziehen sich Kennedys Reflexionen über den Faschismus durch die Aufzeichnungen. Auf den ersten Blick könnte der Eindruck entstehen, Kennedy habe den Faschismus gutgeheißen und Hitler sogar bewundert.

"Die Deutschen sind wirklich zu gut"

"Komme zu dem Schluss, dass der Faschismus das Richtige für Deutschland und Italien ist", notierte Kennedy etwa am 3. August 1937 in sein Tagebuch und fragt: "Was sind die Übel des Faschismus im Vergleich zum Kommunismus?" Und am 21. August 1937 hielt er fest: "Die Deutschen sind wirklich zu gut - deshalb rottet man sich gegen sie zusammen, um sich zu schützen." Einen Tag später schwärmt er von den deutschen Autobahnen: "Das sind die besten Straßen der Welt."

Selbst 1945 schien der junge Beobachter noch von Hitler fasziniert. Am 1. August schrieb er nach der Besichtigung des Obersalzbergs: "Wer diese beiden Orte (Obersalzberg und Kehlsteinhaus - d. Red.) besucht hat, kann sich ohne Weiteres vorstellen, wie Hitler aus dem Hass, der ihn jetzt umgibt, in einigen Jahren als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten hervortreten wird, die je gelebt haben."

War Kennedy also Hitler verfallen? Feststeht, dass ihn die Inszenierung des Faschismus beeindruckte - wie so viele ausländische Besucher vor ihm, darunter auch der US-amerikanische Dokumentarfilmer Julien Bryan oder Martha Dodd, Tochter des US-Botschafters in Berlin (1933-1937). Susan Sontag schätzte die Notizen in den siebziger Jahren so ein: Kennedy sei der "Faszination des Faschismus" zwar erlegen. Aber die Inszenierung habe ihn nicht geblendet.

Hitlers stärkste Waffe

Denn die begeisterten Zeilen in Kennedys Aufzeichnungen sind nur eine Seite seiner Gedanken. Von Anfang an erkannte er etwa, dass der Erfolg des Nazi-Regimes vor allem auf Propaganda basierte und betrachtete die Geschehnisse mit Distanz und Weitsicht: "Hitler scheint hier so beliebt zu sein wie Mussolini in Italien, wenngleich Propaganda wohl seine stärkste Waffe ist", resümierte er etwa am 17. August 1937 in München. Zwei Jahre später beurteilte er die Krise um Danzig äußerst kritisch: Im Mai 1939 schrieb er Billings: "Sollten sich Deutschland zum Krieg entschließen, wird es versuchen, Polen in die Rolle des Aggressors zu drängen, und sich selbst ans Werk machen." Drei Monate später schrieb er seinem College-Freund: "Es sieht nicht gut aus, weil die Deutschen mit ihren Propagandageschichten über Danzig und den Korridor schon so weit gegangen sind, dass man sich kaum vorstellen kann, sie könnten noch einlenken."

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Letztlich schwanken seine Berichte so wie viele andere ausländischer Beobachter zwischen Aversion und Anziehung. Aus seinen Notizen lässt sich dennoch eindeutig herauslesen, dass ihm die Deutschen unheimlich waren. Er bewundert zwar ihre technischen Errungenschaften. Etwa als er Sommer 1945 mit Marineminister Forrestal eine Werft besuchte, auf der im Krieg U-Boote gefertigt worden waren. Eins pro Tag, wie Kennedy anerkennend in seinem Bericht fest hielt. Gleichzeitig schreckte ihn der bedingungslose Gehorsam der Deutschen ab: "An der Fügsamkeit der deutsche Beamten zeigt sich, wie einfach es in Deutschland wäre, die Macht an sich zu reißen. Sie besitzen weder die Neugier der Amerikaner noch deren angeborenen widerständige 'Ich bin aus Missouri, erklärt mir das erst mal!'-Haltung gegenüber der Obrigkeit."

Mit dieser Unsicherheit über die Natur der Deutschen im Gepäck bereiste Kennedy im Sommer 1963 schließlich Europa. Die Rahmenbedingungen dieser Reise waren denkbar schwierig. Die Berlin- und Kuba-Krise hatten die Welt kurz zuvor in einen Ausnahmezustand versetzt. Es schien, als stünde man erneut vor einem Krieg. Kennedy brauchte starke Mitstreiter in Europa. Doch der französische Staatspräsident Charles de Gaulle "verweigerte dem US-Präsidenten die Partnerschaft", wie es der SPIEGEL im Juni 1963 formulierte.

Ist er ein Berliner?

Kennedy war folglich auf die Unterstützung der Bundesrepublik angewiesen. Aber würde es ihm gelingen, die Deutschen für sich zu gewinnen? Der US-Präsident galt hierzulande als ausgewiesener Deutschland-Feind. "Eisiger Raureif hatte mit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten das deutsch-amerikansiche Verhältnis überzogen", fasste der SPIEGEL kurz vor Kennedys legendären Deutschlandbesuch 1963 die Lage zusammen und leitete den Text mit einem Zitat aus den Briefen des Apostel Paulus an die Korinther ein: "Denn ich fürchte, wenn ich komme, dass ich euch nicht finde, wie ich will, und ihr mich auch nicht findet, wie ihr wollt."

Trotz der Zweifel auf beiden Seiten eroberte Kennedy mit nur einem Satz die Herzen der Deutschen: "Ich bin ein Berliner", rief er über den Platz vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin und erntete tosenden Beifall. Mit diesen vier Worten machte er unwiderruflich klar, dass die USA Berlin nicht aufgeben würden.

Egon Bahr, Architekt der Ostpolitik, erinnert sich im Vorwort von "Unter Deutschen", dass Kennedy beim Galadiner nach seinem großen Auftritt ausgesprochen gelöst gewirkt habe. Bahr hatte nie wirklich verstanden, warum - bis er die frühen Aufzeichnungen Kennedys las. Der US-Präsident war sich vorher offenbar nicht sicher gewesen, ob es ihm gelingen würde, die obrigkeitshörigen Deutschen für sich einzunehmen.

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Author: Kerri Lueilwitz

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