Hugh Grant in seiner besten Rolle: BBC-Miniserie "A Very English Scandal" (2024)

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1965 im Speisesaal des britischen Unterhauses. Leise klappert das Geschirr, lautlos schenken livrierte Bedienstete Rotwein nach, gedämpft unterhalten sich ausnahmslos Herren in gediegenem Tweed über zweifellos Staatstragendes. Zwei unter ihnen haben ein besonderes Gesprächsthema: Sie gestehen sich gegenseitig, schon einmal Männer geliebt zu haben. "Shocking!", sagt der eine. "Ich glaube nicht, dass so etwas jemals zwischen diesen Wänden gesagt wurde."

Nein, die britische Mini-Serie "A Very English Scandal" dreht sich nicht um den Brexit. Es geht um eine andere, ebenso wahre Affäre epischen Ausmaßes, in die einer der beiden Männer, der von Hugh Grant gespielte Vorsitzende der Liberal Party, wegen seiner heimlich ausgelebten hom*osexualität verwickelt war.

Nichts daran ist erfunden, alles tatsächlich so passiert. Und doch wird aus dem Dreiteiler eine scharfe Satire. Sie knöpft sich eine politische Kaste vor, die ihr Klassenbewusstsein als uraltes Anrecht zur Schau trägt und ihre Bigotterie unter überkommenen Ritualen versteckt. Immer fein ironisch, versteht sich.

Insofern ist die Serie so grundsätzlich, wie ihr Titel es ankündigt: Sie bereitet eine Theaterbühne für die very englishness, die das elende Brexit-Trauerspiel ja erst auf so fratzenhafte Weise unterhaltsam macht. Weil bizarre parlamentarische Zeremonien das unwürdige Gerangel zum Spektakel aufblasen. Weil das Nickerchen von Jacob Rees-Mogg, diesem näselnden Wiedergänger eines Fünfzigerjahre-Snobs, nur in einem mit kulturellen Codes bis unter die Decke vollgestellten Bedeutungsraum zur Ikone werden konnte.

Zeichenhaft ist auch schon die mimische Maske, die Hugh Grant sich für diese - seine bisher beste - Rolle zugelegt hat. Man muss sich kurz erinnern: Das ist jener Schauspieler, der früher in romantischen Komödien den tollpatschigen, einfach irrsinnig niedlichen chap spielte; auch schon einmal einen fiktiven Premierminister (in "Tatsächlich... Liebe"), dessen Charme selbst Polit-Popstar Tony Blair wie einen stocksteifen Technokraten wirken ließ. Dass Grant aber durchaus politisches Profil hat, bewies er zuletzt mit einem bissigen Tweet in Richtung Boris Johnson.

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"Ich werde Dich jetzt küssen, und Du wirst es genießen"

In "A Very English Scandal" trägt dieser Hugh Grant als Liberal-Party-Chef Jeremy Thorpe nun eine sprichwörtliche stiff upper lip im Gesicht, die ihresgleichen sucht. Der Mann spricht praktisch ausschließlich mit der Unterlippe, fast wie eine Muppets-Puppe. Die Augen blitzen und verraten Gefühle, ansonsten bleibt sein Gesicht bar jeder Regung. Auch dann, als er zu dem wesentlich jüngeren Stallburschen Norman Scott (Ben Wishaw) sagt: "Ich werde Dich jetzt küssen, und Du wirst es genießen."

Die erste Folge der BBC-Produktion beschäftigt sich mit der Affäre, die sich aus dieser plumpen Anmache entspinnt, die Episoden Zwei und Drei mit den Folgen, die sich über Jahre hinziehen: Den immer neuen Erpressungsversuchen von Seiten Normans, der sich verraten und weggestoßen fühlt, stehen immer neue Versuche Thorpes gegenüber, sich wegzuducken, bloß keine direkte Verbindung zwischen ihm und Norman nachweisbar zu machen. Schließlich beginnt er entnervt und kaltblütig, einen Mordkomplott zu entwerfen.

Einmal sieht man, wie dieser Jeremy Thorpe im Parlament eine heißblütige Rede hält, in der er Waffenlieferungen an Nigeria verurteilt, um gleich in der nächsten Szene sich und seinem Assistenten die Frage zu stellen: Wohin mit dem Körper des Ermordeten? Das ist schwarze Satire in bester britischer Tradition, zumal auch dem nichtbritischen Zuschauer schnell schwant, dass die amateurhaften Mordpläne nur in schlimmstem Durcheinander enden können.

Briten kennen den Ausgang der Geschichte ohnehin, die Thorpe-Affäre hat sich tief ins Bewusstsein der englischen Gesellschaft eingegraben. Vielleicht deshalb, weil in dem anschließenden Gerichtsverfahren, das die dritte Folge zeigt, das politische Establishment mit heruntergelassenen Hosen dastand. In aller Öffentlichkeit, denn aufgrund eines Verfahrensfehlers durfte die Presse jede Einzelheit aus dem Gerichtssaal berichten - und sie tat das mit ausführlicher Hingabe.

Am Rande geht es in "A Very English Scandal" von Regisseur Stephen Frears ("Die Queen") auch um den Umgang der englischen Gesellschaft mit hom*osexualität, die in den Siebzigern, zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung, zwar nicht mehr gesetzlich verboten, aber noch immer stark tabuisiert war.

Aber überlagert wird diese Erzählung von einem Kampf der führenden Klasse um Macht und Einfluss. Thorpe verfocht liberale politische Ansichten, in einer Szene wird er als leidenschaftlicher Kämpfer für eine britische EU-Mitgliedschaft gezeigt. Aber sein Freigeist endete dort, wo seine Privilegien bedroht waren. Er steht beispielhaft als Protagonist für eine Elite, die nicht zögert, ihre Stellung bis aufs Blut zu verteidigen.

Hugh Grant in seiner besten Rolle: BBC-Miniserie "A Very English Scandal" (2024)
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Author: Golda Nolan II

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